Und eigentlich bräuchte ich jetzt nur noch den Auslöser drücken, aufs Foto gebannt wäre ein weiteres der Prachtgebäude hier an der Piazza Unità d’Italia von Triest, die ihr habsburger Erbe stolz zur Schau stellt und mich immer wieder an den Wiener Rathausplatz erinnert, nur dass anstelle des Burgtheaters das geduldig vor sich hinplätschernde Meer ihm seine Abrundung gibt.

Aber irgendwie ist mir die Lust vergangen, die Kamera lasse ich sinken, nichts wird wohl aus der Fotostrecke a lá Wikipedia und Google Maps, denn vielmehr die Menschen rund um mich sind es, die es mir angetan haben, die aus dieser Stadt so satt an Geschichte eine neue Stadt geschaffen haben und weiter am erschaffen sind, die sie an diesen brütend heißen Junitagen in einen italienischen Sommertraum tauchen, mit all ihren kleinen privaten, individuellen, und bisweilen versteckten Geschichten …

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Trieste02

Auf dem Foto hört es man nicht, das unablässige Hupen, das die Autos auf der Molenstraße von sich geben, an diesem stressigen Freitagmorgen, wenn die Beschäftigten dieser Arbeitswoche noch einen Sinn zu geben versuchen, in letzter Minute und in letzter Eile, Hektik ist die Devise, in der verzweifelt Arbeit und Familie im Dreißigsekundenabstand per Handy im Einklang gebracht werden muss –

Anders unsere beiden Freunde, die polohemdsärmelig sich durch die Lagune rudern, in der Gewissheit, andere für sich arbeiten und schwitzen lassen zu können, sich unanständige Witze erzählen, bis bei einem von ihnen das Handy läutet. Und läuten lässt er es zumindest bis zum vierten Mal, bis er den Anruf mit folgenden Worten beschließt:

„Liebling, später, ich bin noch in einem Meeting …“

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Trieste03

Ich kann ich es nicht fassen, dass sich mir diese fette Frau ins Bild setzt, jetzt, wo ich gerade am Abdrücken bin, kaputt die Fotostimmung für diesen serbisch-orthodoxen Prachtbaus einer Kirche, und schon kann ich nicht glauben, dass sie ihr Handy hervorzieht, denn dies bedeutet mindestens ein halbe Stunde Wartezeit, bis sie sich durch Likes und andere Beleidigungen durch Facebook gequält hat, sich mit ihrer noch fetteren, unansehlicheren Mutter über ein fettiges Abendessen gestritten hat, und ihren unfähigen arbeitslosen saufenden Ehemann zur Sau gemacht hat.

Erst dann erkenne ich den Witz der Szene, als sich noch andere auf den Bänken hinzugesellen, und alle ihre Smartphones gezückt halten und gebannt darauf starren, bis auf den Jungen, er darf nur bei Mama mitstarren. Und mit einem viel breiteren Lächeln, als mich allein die zu Architektur gestapelten Steinblöcke gebracht hätten, drücke ich nun genüsslich den Auslöser, begleitet von dem Gedanken:

Ja, ja, mit Gott im Rücken lässt es ich gleich viel freundlicher chatten …

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Trieste04

Genügend Raum für jugendliche Träume, und frei fliegen die Gedanken der beiden, so unterschiedlich sie auch sind, denn seine Träume gestrickt aus dem blauen Hemd, das ihm seine Mutter morgens gebügelt hat, es sind Fischerträume, Beamtenträume, die geradezu bis zur nächsten Mole reichen, und wie er das Mädchen rumkriegt, weiter reichen sie nicht.

Aber ihre Träume sind aus anderem Stoff gemacht, aus einem Amerika, das es so nie gegeben hat, aus einem Frachter, der gerade nach diesem Amerika ausläuft und den sie verpasst hat, der an ihrem tristen vorbestimmten freudlosen Dasein vorbeigefahren ist – den nächsten Frachter nimmt sie, das verspricht sie sich, selbst wenn sie mit der gesamten Besatzung schlafen muss …

 
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