Es hilft nichts: egal, ob im Parco Sempione von Mailand, oder ob ich mich im Parco Massari von Ferrara herumtreibe, selbst wenn ich am Südzipfel Europas auf Sizilien durch die Palmenhaine des Giardino Ibleo in Ragusa wandle – sobald ich einen Park betrete, fällt mir Alfred Polgar ein.
Der Wiener Kaffeehausliterat aus der Zwischenkriegszeit, der die seltene Kunstfertigkeit besaß, mit Worten Fotos zu schießen; das heißt, einen noch so komplexen Sachverhalt in all seinen denkbaren Ausdehnungen in einen wohlkomponierten Halbsatz zu fassen – die Verschwendung von Worten war Polgars Sache nicht, wie allein diese allumfassend endgültige Kurzfassung menschlicher Unzulänglichkeiten beweist:
„Wie ein Blinder, der bedrohliche Blicke wirft. Oder wie ein Reiter im vollen Galopp, nur ohne Pferd.“
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Und genau deshalb gehört Polgar zu den ganz Wenigen, dessen Naturbeschreibungen mir zum Lesen erträglich sind, dessen Satzgespenster mir augenblicklich in den Sinn kommen, sobald ich einen Park betrete, und weshalb ich einige seiner mir liebsten „Parkzitate“ an diese Stelle bannen will – umgarnt mit einigen Blickfangbildern aus einem der wohl urtypischsten Gartenanlagen Wiens, dem Türkenschanzpark in Währing …
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„Der große Park ist hochsommerlich aufgetan. Im Teich plätschert besseres Geflügel. Kleine Familien von Schwänen gleiten vornehm und in großer Schweigsamkeit spazieren.“
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„Sie haben etwas Hochmütiges und Ablehnendes, diese Gärten. Wenn sie reden könnten, würden sie durch die Nase reden. Sie spielen das Naturspiel nicht mit: für dergleichen sind sie viel zu gut angezogen.“
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„Ganz unbeweglich stand [das Reh] da, und doch entschieden flüchtig, gleichsam in starrer Eile, in gestockter Schnelligkeit. Der Wald hielt still, wie um sein Kind nicht zu erschrecken. Allem ringsum, der Erde und den Bäumen, dem Licht und der Luft, tat das Tier wohl. Hintergrund und Kulisse schienen es zufrieden, ihm Hintergrund und Kulisse zu sein.“
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„[…] und was an dieser Stelle des Parks lustwandelt, macht halt und bildet Spalier: aus dem Wiesensaum, der den Teich umrandet, kommt der Storch herangestelzt, quer über die Promenade, auf eine alte Dame los. Dort nimmt er aus einer Papiertüte Brotstückchen im Empfang. Alles steht gerührt. Nur zwei graue Enten, die im Grase hocken, sehen missmutig zu. Ihnen gibt niemand etwas.“
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„Zu den Füßen einer jungen Dame, die verdrossen dreinsieht, und einen grünen Schirm zwischen sich und der Sonne hält, liegt ein schneeweißer Pinscher. Den Kopf unbeweglich auf gekreuzten Pfoten, begleitet er jeden Vorübergehenden, soweit er kann. Wie ein wohlerzogener Soldat, wenn der Vorgesetzte die Front abschreitet. Andere Hunde im Park suchen seine Bekanntschaft, stumm lehnt er ab. Nur wie ein zartbeiniger Airedale-Terrier vorbeikommt, ein Rassehund, salutiert der Pinscher mit den Ohren.“
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„Ein Major mit Spazierstock stochert leutselig durch den Park. Er winkt den beiden Soldaten auf der Bank schon bei weitem zu, sitzenzubleiben. Da sie miteinander nur ein Bein haben, machen sie von der Erlaubnis Gebrauch.“
ANMERKUNG
Die Zitate entstammen folgender Kurzgeschichten:
- Park (1919/1929)
- Rotschild-Gärten (1918/1919)
- Das Reh (1929/1953)