Den Wind abzulichten, bin ich ausgezogen, mit meiner tollkühnen neuen Fotokamera, oder auch das Loch im Gewebe der Zeit, die Faulheit der Zeit, in der nichts Anderes geschehen ist, als dass die Sonne ein paar Zentimeter den Horizont herabgerutscht ist, die mein Blickfeld einnehmenden tausend Hügel der Toskana vor mir in eine leicht veränderte sfumatura, in eine andere Schattierung des Lichts taucht, mehr Terrakotta im Ton, was die Eidechse zu meinen Füßen nicht im Geringsten beeindruckt, seit Stunden hat sie sich nicht mehr gerührt, gleich mir.

Denn vorerst zur Ruhe gebracht sind sie, meine ansonsten ewig kreisenden Gedanken, zum Stillstand gezwungen, in Watte gelegt, zu Bett gebracht, auf dass sie ihren Schlaf finden, im Erinnerungsrucksack meiner Lebenserfahrungen, den ich zurückgelassen habe, irgendwo auf einem in der Sonne gleißenden, verdreckten Bahnsteig zwischen Florenz und Pisa, bevor ich in den Bus ins toskanische Hinterland umgestiegen bin. Und das arme Schwein beneide ich nicht, das meinen Rucksack in der Hoffnung auf unermessliche Schätze aufgesammelt hat, denn beim Öffnen erwartet ihn nichts Anderes als Äolos‘ losgelassene Winde abgehalfteter Gedankenwelten, die ihm dann schonungslos entgegenblasen.

Ein Schwanzzucken hat sie nun doch preisgegeben, die Eidechse zu meinen Füßen, mach mir nichts vor, ich hab’s genau gesehen, du kannst mich noch so leblos kalt anschauen, mit deinen Glasaugen, die zu keinem Wimpernschlag fähig sind. Habe ich es also gewonnen gegen dich, das stundenlange Duell der Reglosigkeit, und als Trophäe zünde ich mir eine Zigarette an, der pure Ausdruck dessen, dem lieben Herrgott weitere vier Minuten seiner wertvollen Ewigen Zeit gestohlen zu haben.

Und dann greife ich zum Fotoapparat, um das Ende des Lochs in der Zeit abzulichten, gleich im Winkel, in der Belichtung dem Foto, das ich vor Stunden geschossen habe, als mir die Eidechse so regungslos über den Weg gelaufen ist, denn ein Loch lässt sich nur an seinen Rändern ermessen. Und wie kindisch mein Unterfangen!, unbewusst lasse ich die Kamera wieder sinken, denn er lässt sich nicht ablichten, der Geruch des Windes, seine Anschmiegsamkeit, wie er die Wolken über den toskanischen Horizont trägt, und auch nicht die sfumatura der Zeit, das Jahrmilliarden dauernde Auslaufen einiger vor langer Zeit in Aufruhr gebrachter Planeten, die Billardkugeln Gottes.

Und schon gar nicht ablichten lassen sich die sfumature, die Stimmungsschattierungen des gestrigen Abends, in der besten Taverne am Platz, den ich begonnen hatte mit der Menüabfolge meiner Wahl, zur Vorspeise echten, kalorientriefenden Büffelmozzarella, danach die Tagliatelle in Trüffelsoße, auf Fleisch wird verzichtet, um ja noch genügend Platz zu lassen für einen heftigen Nachschlag stilechter Mascarpone. Und während ich mir aus der Flasche des vorzüglichen Hausweins nachschenkte, hatte sie begonnen, lautstark an meinem Nebentisch Platz zu nehmen, die italienische Sippe wie aus dem Bilderbuch …