Und als ich aus dem Kino kam, damals mit meinen unbedarften siebzehn Jahren, hatte ich gewusst, dass meine Illusionen endgültig zerstört waren. Teorema hatte dieses kantige, wortkarge Stück Film geheißen, das das Einstürzen aller Fassaden einer Großbürgerfamilie bis hin zu ihrer unumkehrbaren Auslöschung so gnadenlos beschrieb – nicht, dass die Bürgerlichkeit meiner eigenen Familie besonders groß gewesen wäre, aber dieser eineinhalb Stunden lange Streifen Zelluloid hatte es in alle Kürze auf den Punkt gebracht, woher ich kam und wie ich enden würde, sollte es mir nicht gelingen, aus den von mir erwarteten Lebensbahnen auszubrechen.

Wer dieser Pier Paolo Pasolini war, der Autor und Regisseur des Films, mit dem er so tief in meiner Seele gewühlt hatte – forever changed -, fand ich erst mit der Zeit heraus: das Pendant zu Thomas Bernhard zu unserem bigotten Österreich, nur eben für das politisch zerrissene Italien voller Gewalt damals; der ewig aufmümpfige Schriftsteller, Philosoph und Filmregisseur, der sich für keinen intellektuellen Skandal zu schade war, mehrmals deswegen vor Zensur und Gericht landete, immer Teil des Gewissens Italiens war und es auch nach seinem Tod bis zum heutigen Tag blieb – lästig wie der Geist von Hamlets Vater. Für die Rechten war er zu sehr Kommunist, für die Kommunisten war zu schwul, und für die Schwulen zu katholisch …

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Genug, den Rahmen des angekündigten Titels beginne ich zu sprengen. Jedenfalls, viel habe ich über Pasolini gelesen und, sobald mein dürftiges Italienisch es zuließ, auch von ihm, und seine Filme habe ich mir angesehen, einen nach dem anderen.

Und darin taucht immer wieder sie auf, diese Schauspielerin, mit dem so einzigartig scharf geschnittenen Antlitz, der ein Niederschlagen der Augen oder ein Zucken der Unterlippe vollkommen genügte, um das Scheitern eines ganzen Lebens zum Ausdruck zu bringen, egal, ob als Iokaste im Film Edipo Re oder eben als gelangweilte Industriellengattin im besagten Teorema.

Silvana Mángano, ihr Name, so viel verriet mir der Nachspann, aber für lange Zeit nicht viel mehr, völlig unbekannt diese Schauspielerin bei uns nördlich der Alpen. Erst als das Internet seine Pforten zu öffnen begann, machte ich mich eines Tages auf die Suche nach ihr – und holte für mich Erstaunliches zu Tage:

Begonnen hatte ihre Karriere mit einem Filmklassiker des italienischen Neorealismus, Riso amaro (bei uns Bitterer Reis), in dem sie eine der Hauptrollen spielte, was sie in den Fünfziger Jahren zu einer der gefragtesten Filmschauspielerinnen Italiens machte, im gleichen Atemzug genannt wie Sophia Loren und Gina Lollobrigida. Und als Ehefrau von Dino De Laurentiis, einem der erfolgreichsten Filmproduzenten des letzen Jahrhunderts, der sie sogar aufs Cover auf des LIFE-Magazins brachte, wäre ihr der Weg als Star in Hollywood eigentlich vorherbestimmt gewesen.

Dass man heutzutage nach wie vor von der Loren spricht, aber nicht von der Mangano, lag an ihrem Unwillen, überhaupt ein Star zu sein, zu viel Öffentlichkeit verbunden mit dem Rummel war ihr zuwider, um vier Kinder galt es sich zu kümmern, und erste seelische Krisen begannen sich in ihr Leben zu schleichen. Was sie jedoch nicht daran hindern sollte, mit großen Regisseuren noch einige große Filme zu drehen (ein Schicksal, das mir Romy Schneider in den Sinn kommen lässt).

Im kollektiven Filmgedächtnis vielleicht eine ihrer eindrucksvollsten Darstellungen geblieben, nämlich die von Tadzios Mutter im Tod in Venedig von Luchino Visconti – und wieder mit diesem Blick, der in eine Ferne ufert, der man nicht handhaft zu werden vermag:

Silvana Mangano in Tod in Venedig

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Wer die zweite, unverwechselbare Frau in einem der Filme von Pier Paolo Pasolini gewesen war, brauchte ich nicht einmal damals mit meinen unbedarften siebzehn Jahren zu recherchieren, denn ihr Name war damals schon Legende gewesen: Maria Callas.

Maria_Callas

Richtig gehört. Die Callas hat sich tatsächlich einmal von der Bühne auf die Leinwand gewagt, meines Wissens nach ihr einziger Film. Und darin wird nicht gesungen. Sondern darin verrät sie ihre gesamte Familie, tötet und zerhackt ihren leiblichen Bruder und vergiftet schließlich ihre eigenen Kinder, ganz so, wie es der gute Ton einer anständigen, griechischen Tragödie verlangt: Medea.

Und welche Lebenswut die Callas in diese Rolle packt, welchen Mut zur Hässlichkeit sie im Gegensatz zu ihrer ansonsten so selbstkontrollierten Art zu Tage legt, ihr è inutile! in die Welt schreit, sei in diesem Ausschnitt gezeigt:

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Wie es Pier Paolo Pasolini gelingen konnte, der es eigentlich bevorzugte, Laiendarsteller von der Straße zu holen, Frauen dieses Kalibers für seine kontroversiellen Filme zu gewinnen und sie dazu zu bringen, sich über die Grenzen ihrer ausgetretenen Pfade hinauszuwagen? Rhetorisch unbeantwortet lasse ich die Frage stehen, aber einen Blick hinter den Spiegel erlaube ich mir dennoch:

Silvana Mangano (59), an ihren Depressionen, überhaupt nach dem Tod ihres Lieblingssohns, verstorben; Maria Callas (53), offizielle Todesursache eine Lungenembolie, inoffiziell Lebenserschöpfung; Pier Paolo Pasolini (53) ermordet unter bis heute nicht geklärten Umständen in einem Vorort Roms aufgefunden.

Intensiv gelebt und daran verbrannt, alle drei, und wahrscheinlich haben sie es im vorhinein geahnt.